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Ein Erlebnisbericht

Da drüben, das ist Pellworm

Au­tor/Au­torin un­be­kannt

 

Der frü­he Mor­gen ist frisch, klar strömt das Licht über das Watt drau­ßen in den Uth­lan­den. Ei­ne Welt für sich; au­ßen­deichs, ei­ne Hand­voll Hal­li­gen und ein paar In­seln in der Nord­see. Ge­le­gen im Wat­ten­meer, das zwei Mal am Tag un­ter­geht und eben­so oft wie­der auf­taucht. Durch­schnit­ten von den »Flüs­sen des Mee­res­bo­dens«; den Prie­len, rei­ßen­den Strö­men. Ein Li­mit zum Lau­fen und ein­zi­ger Ver­kehrs­weg für die Leu­te da drau­ßen. Sie neh­men das Schiff. Und ja, man kann auch rü­ber lau­fen. An man­chen Stel­len, auf man­chen We­gen. Durch das Watt. Ei­ner frem­den, fas­zi­nie­ren­den Welt.

 

Von Hal­lig Hoo­ge rü­ber nach Pell­worm al­so, das ist der Plan für die­sen Som­mer­mor­gen. Die Di­rek­te ist nicht weit, deut­lich ist der al­te Kirch­turm im Wes­ten Pell­worms und die Wind­müh­le an der Nord­küs­te zu er­ken­nen. Nur die Di­rek­te, die geht nicht. »Das Was­ser, das zwi­schen Hal­lig Hoo­ge, Pell­worm und dem Fest­land hin und her strömt, fließt vor al­lem durch das Rum­mel­loch – das ist ei­ner der gro­ßen Prie­le hier bei uns im Wat­ten­meer«, sagt Mi­cha­el Klisch, der die Grup­pe Aus­er­wähl­ter heu­te hin­über führt. Die Prie­le ver­än­dern sich stän­dig, nie ist das Watt so, wie es eben, vor ei­ner Wo­che oder vor ei­nem Jahr ge­we­sen ist. Die Prie­le und die Sand­bän­ke – heu­te hier und mor­gen fort.

Die Stre­cke von Hal­lig Hoo­ge nach Pell­worm wur­de vor ei­ni­gen Jah­ren ge­gan­gen; ein gu­tes Stück Stre­cke zwar, aber nicht son­der­lich schwer zu ge­hen. Nur, und das ist und war die al­les ent­schei­den­de Fra­ge – wo ist das Rum­mel­loch und wie tief ist die­ser Pri­el? Kommt man da durch? Wo kann es über­haupt lang ge­hen? Na­tür­lich ist Mi­cha­el Klisch, er lei­tet die Schutz­sta­ti­on Wat­ten­meer auf Hal­lig Hoo­ge, die Stre­cke ab­ge­lau­fen, be­vor er Leu­te mit hin­aus nimmt, er hat den lan­gen, fast ver­ges­se­nen, Wat­ten­weg neu ge­legt. Zu be­ge­hen aus­schließ­lich mit orts­kun­di­ger Füh­rung und nie­mals (!) al­lein – denn al­lein zu lau­fen, kann le­bens­ge­fähr­lich sein.

 

Die­se Stre­cke al­so ist wie­der­be­lebt, denn die­se Tour ist toll:

Es gibt vie­le und ver­schie­de­ne Watt­wan­de­run­gen an der West­küs­te und je­de für sich ge­nom­men ist ein ein­zig­ar­ti­ges Er­leb­nis und ein Muss bei ei­nem Be­such an der Nord­see. Es gibt kur­ze Tou­ren für Fa­mi­li­en und Je­der­mann, auf de­nen das Le­ben in die­ser au­ßer­ge­wöhn­li­chen Welt er­klärt wird. Es gibt Tou­ren von In­sel zu In­sel, Föhr – Am­rum, die zu den groß­ar­tigs­ten Ur­laubs­er­leb­nis­sen an der Nord­see zäh­len. Und es gibt Son­der­tou­ren, die nur ein paar Mal pro Jahr an­ge­bo­ten wer­den – ex­klu­si­ve Er­leb­nis­se weit weg vom Rest der Welt. Von Hoo­ge nach Pell­worm, das ist wie­der ei­ne sol­che Tour. Zwar win­det sich das Rum­mel­loch wo­hin die Na­tur­ge­wal­ten es trei­ben – doch hin­über zu lau­fen, es zu um­run­den; das geht im wah­ren Wort­sinn.

 

Was macht die­se Tour so au­ßer­ge­wöhn­lich? Es geht von Hal­lig zur In­sel, das ist ei­ne ers­te Be­son­der­heit. Sie hat ein Ziel, das ist bei Wan­de­run­gen im­mer ei­ne schö­ne Sa­che – man geht »wo­hin«, hat et­was vor Au­gen, das man­che Mü­he lohnt, man »kommt an«. Wei­ter­hin: Es ist auch ei­ne Rei­se in die Zeit zu­rück – in ei­ne un­ter­ge­gan­ge­ne Welt. Ver­nich­tet und er­tränkt in ei­ner mör­de­ri­schen Or­kan­flut vor ein paar Jahr­hun­der­ten – al­tes Kul­tur­land; die Spu­ren und Er­in­ne­run­gen sind oft zu se­hen. Und na­tür­lich: die klei­ne Schiffs­rei­se zu­rück nach Hoo­ge mit den Ge­brü­dern Hell­mann und ih­rem klei­nen Schiff. Zwi­schen­drin: vie­le Vö­gel und mit et­was Glück ein See­hund. Nur: das muss al­les mit den Ti­den zu­sam­men­pas­sen und des­halb ist die­ses ein ex­klu­si­ves Ver­gnü­gen und sei­nen Preis wert. Wenn das Wet­ter auch noch mit­spielt.

 

Heu­te Mor­gen passt al­les, ein kla­rer Him­mel spannt sich über Hal­lig und Wat­ten­meer, »… und der Was­ser­stand ist mit 30 Zen­ti­me­tern we­ni­ger ge­mel­det. Das ist per­fekt!«, sagt Mi­cha­el Klisch, als er die Grup­pe über die Stein­buh­ne an der Süd­küs­te in das Watt führt. Pell­worm liegt zum Grei­fen nah, drei Ki­lo­me­ter di­rekt rü­ber, und Klisch führt der auf­ge­hen­den Son­ne ent­ge­gen – und weg vom Ziel. Zu­erst ver­sin­ken die Schrit­te im Schlick, das ist vor dem fes­ten Land oft so, da hier die Kraft des Was­sers nach­lässt und sich die fei­nen Se­di­men­te ab­la­gern kön­nen. »…aber kei­ne Sor­ge, ein paar Schrit­te noch und wir lau­fen auf fes­tem Sand­watt«, ver­spricht er und bald mar­schiert die Grup­pe mit leich­ten, flot­ten Schrit­ten auf dem Mee­res­bo­den. In ei­nem gro­ßen Bo­gen auf das Ziel Pell­worm zu, denn an­ders kommt man nicht rü­ber. Letz­te Was­ser­flä­chen glit­zern in der Son­ne wie ge­schmol­ze­nes Sil­ber und vor der Küs­te von Pell­worm strömt das Rum­mel­loch der Nord­see hin­ter­her. Es ist, wie auf je­der Watt­wan­de­rung, ei­ne lan­ge, si­che­re Zeit­re­ser­ve vor Nied­rig­was­ser, da­mit der kri­ti­sche Punkt – der Pri­el – bei tiefst­mög­li­chem Was­ser­stand pas­siert wer­den kann. Und die Grup­pe mit ei­nem si­che­ren Zeit­puf­fer un­ter­wegs ist.

Die Sand­bän­ke sind flach und kaum zu er­ken­nen. Sie la­gern sich stän­dig um, im Watt herrscht ei­ne Dy­na­mik, die die ge­naue La­ge sol­cher Sand­bän­ke und Prie­le im Un­ge­fäh­ren lässt. Das macht ei­ne Tour so span­nend; es ist im­mer wie­der neu und es ist ein schau­rig-schö­nes Ge­fühl von Un­ge­wiss­heit. Und da­zu eben das Er­leb­nis, doch hier sein zu dür­fen. Un­ter­wegs in ei­ner Welt, in der vor sie­ben­hun­dert Jah­ren Men­schen leb­ten; sie Vieh wei­de­ten und Torf ab­ge­baut ha­ben. Sie hat­ten Brun­nen und klei­ne Hä­fen, We­ge und Dei­che. Schleu­sen­res­te wur­den ge­fun­den, bäu­er­li­che Ge­höf­te und klei­ne Ka­pel­len. Er­trun­ken in zwei mör­de­ri­schen Flu­ten im 14. und im 17. Jahr­hun­dert.

Ein Schwarm Vö­gel fliegt auf und tanzt ei­nen ir­ren Tanz im Som­mer­him­mel als Mi­cha­el Klisch zu ei­ner son­der­ba­ren, auf­fäl­li­gen Struk­tur führt – ein run­der Kreis in an­sons­ten sanf­ten, na­tür­li­chen Sand­struk­tu­ren. »Das ist der Rest ei­nes Brun­nens«, er­klärt er, »die Wand wur­de mit Torf­so­den aus­ge­legt und sta­bi­li­siert.« Wir sind längst in der un­ter­ge­gan­ge­nen Welt un­ter­wegs. Hier war einst fes­tes Land – und wer ge­nau hin­schaut, wird wei­te­re Kul­tur­spu­ren ent­de­cken. Im Os­ten zum Bei­spiel sind lan­ge, ge­ra­de Rei­hen zu ent­de­cken, die nie­mals na­tür­li­chen Ur­sprungs sein kön­nen. »Ver­mut­lich ha­ben die Men­schen hier frü­her Torf ge­sto­chen, das kön­nen die Grä­ben sein und der ge­la­ger­te Aus­wurf da­ne­ben.« Den Torf ha­ben die Leu­te da­mals ab­ge­baut, um dar­aus wert­vol­les Salz zu ge­win­nen – und ei­ne Theo­rie be­sagt, dass sie sich da­mit ih­rem Un­ter­gang zü­gig ent­ge­gen ge­gra­ben ha­ben. Span­nend, zum Stau­nen. Und ein we­nig schau­rig, in die­ser ver­sun­ke­nen Welt zu ste­hen.

 

Die­se Stel­le ist flach ge­wölbt wie ein Uhr­glas » … das ist die ehe­ma­li­ge Hai­ens-Hal­lig, die se­he ich auch nicht je­des Mal«, sagt Klisch, »das ist schon et­was Be­son­de­res!« Pla­cken von See­gras sind auf das Ufer die­ser un­ter­ge­gan­ge­nen Hal­lig ge­spült. In der Fer­ne scheint die be­wohn­te Hal­lig Nord­stran­disch­moor über dem Watt zu schwe­ben. »Wir ha­ben jetzt den Schei­tel­punkt er­reicht«, sagt er, »nun geht es di­rekt auf die Nord­küs­te von Pell­worm zu.« Die In­sel, samt ih­rem vor­ge­la­ger­ten Pri­el, hat die Grup­pe die gan­ze Stre­cke be­glei­tet. Rin­gel­gän­se flie­gen vor­bei, mit Ziel Si­bi­ri­en. Und ähn­lich ein­sam ist die­se Welt hier un­ten auf dem Mee­res­bo­den.

Wir sind in der Tie­fe un­ter­wegs, bei Hoch­was­ser schwap­pen die Flu­ten hier zwei­ein­halb Me­ter hö­her. Wie­der ist ein al­ter Brun­nen­ring zu er­ken­nen, wie­der ste­hen die Leu­te fas­zi­niert da­vor und sin­nie­ren über die Ge­schich­te.

»Leu­te, wir müs­sen wei­ter!«, mahnt Klisch mit Blick auf Kom­pass und Uhr, denn das Meer war­tet nicht. Bald wird das Was­ser wie­der kom­men, zu­erst das Rum­mel­loch auf­wärts strö­men und dann wird hier wie­der al­les un­ter­ge­hen wie seit hun­dert und hun­dert Jah­ren schon. Klisch führt an den Rand die­ses Pri­els, der sich in der Tat wie ein Fluss auf dem Mee­res­bo­den da­hin zieht mit silb­rig glit­zern­den Flu­ten auf dem Weg von Ir­gend­wo nach Nir­gend­wo. Am Rand die­ses Stroms ste­hen selt­sa­me Bäum­chen, ih­re Spit­zen sechs und mehr Me­ter über den Köp­fen der stau­nen­den Grup­pe. »Das sind Pri­cken«, er­klärt Mi­cha­el Klisch, »sie mar­kie­ren ei­nen Schiff­fahrts­weg!«

Wie bei nor­ma­len Flüs­sen gibt es auch hier ei­nen stei­len und ei­nen fla­chen Hang. Kaum knie­tief wird das Rum­mel­loch durch­wa­tet, des­sen Was­ser mit ir­ri­tie­rend star­ker Strö­mung noch im­mer der Nord­see hin­ter­her eilt. Mö­wen wip­pen auf den Wel­len. Aus­tern­fi­scher trip­peln auf dem Ufer. Aber nicht mehr lang und dann kommt es wie­der; das Was­ser – stark, strö­mend, un­auf­halt­sam und al­les er­trän­kend. Als die Grup­pe das ge­gen­sei­ti­ge Ufer be­tritt, wird sie ers­tes.) von ei­nem enor­men Ge­tö­se von Rin­gel­gän­sen be­grüßt und ver­sinkt zwei­tens.) knie­tief im Schlamm. Klisch vor­ne­weg und die Grup­pe stakst vor­sich­tig durch den Schlick.

 

Di­rekt vor Pell­worm lie­gen die Sand­bän­ke wie wild durch­ein­an­der, noch ein Pri­el muss durch­wa­tet wer­den. Mat­ten von See­gras lie­gen her­um und das Was­ser scheint still zu ste­hen. Vor uns liegt Pell­worm und wir stei­gen aus; hin­aus aus die­ser wun­der­sa­men Welt und Ab­gang von ei­ner groß­ar­ti­gen Büh­ne der Na­tur. Der Vor­hang fällt, denn die Nord­see kommt wie­der zu­rück und deckt al­les mit grau-grü­nen Wo­gen zu. Da­hin­ten, das ist Hal­lig Hoo­ge. Mit ih­ren Warf­ten, auf­ge­reiht sind die Wohn­hü­gel wie an ei­ner Per­len­ket­te. Zum Grei­fen nah und doch un­er­reich­bar. Und auch die al­te Hai­ens-Hal­lig wird wie­der un­ter­ge­hen. So wie seit hun­dert und hun­dert Jah­ren schon, ver­sun­ken und ver­ges­sen. Fast ver­ges­sen, wie die­ser al­te schö­ne Weg durch das Watt. Nun aber ist der Blick in die­se Welt wie­der mög­lich, mit ei­nem Zeit­fens­ter von gut zwei­ein­halb Stun­den. Zu be­sich­ti­gen und er­le­ben auf ei­ner fas­zi­nie­ren­den Büh­ne. Ver­bor­gen und ver­bo­ten ei­gent­lich. Und die Ge­brü­der Hell­mann neh­men Kurs auf Hal­lig Hoo­ge. Das klei­ne Aus­flugs­schiff schau­kelt über Wel­len und fährt über ei­ne Welt, die er­scheint wie ein fer­ner Traum.